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Geisterbahn 9

Aus dem Wörterbuch des Diagonaldenkens

EBENMASS bis FUTTERNEID

Dezember 2005

 

Nähere Angaben siehe Vorgänger. Folksausgabe für Ende 2006 geplant.

Auszüge:

E

EBENMASS Vom Flachhirn bis zu den Plattfüßen: 1 vollständiger Zeitgenosse, der nach der Mode sich feminin kleiden, gut tanzen, gut Squash spielen, 1 ausreichenden Geist für 1 Personal Computer und 1 angenehme Stimme für den Anrufbeantworter haben muß.

ECHO Das innere des Gebäudes war so unheimlich wie je. Dieselben stummen und düsteren Gemächer nahmen lautlos das Schweigen auf, und jedes der gespenstigen Möbel stand wie festgebannt an seinem gewohnten Platz. Das eiserne Herz der grimmigen alten Wanduhr klopfte, ohne sich stören zu lassen, in seinem staubigen Gehäuse; die wackligen Schränke drückten sich bei dem Anblick der menschlichen Gestalten in ihre traurigen Winkel zurück, und schaurig ließ das dumpfe Echo die Fußtritte widerhallen ...

EDELSTEIN Altes Hausmittel gegen die Pest (Blattern, „Schwarzen Tode“, Beulenpest, etc.)

EGO Reichlich nebulöse Umschreibung für etwas, das, bevor es sich auflöste wie der Leichnam eines Ertrunkenen, einst Selbstbewußtsein hieß, oder Seele, oder Selbstverständnis ... und das nun durch die Nebel auf dem Flachland des „zeitgenössischen Denkens“ herum tappt wie Lovecrafts Ghoule. „Mein Ego leidet darunter ...“; „mein Ego hat Probleme damit ...“; „ich denke, ich sollte dies meinem Ego nicht zumuten ...“ - Der Beispiele sind Legion. Hier ein Tip für Ego=Halter: Gönnen Sie Ihrem Ego mal etwas Gutes, z.B. indem Sie dem Papst vergeben. Denn erstens hat er es nötiger als alle anderen; zweitens ist er der „Stellvertreter Gottes auf Erden“; und drittens ist es die einzige Möglichkeit, über ihm zu stehen, sozusagen an Gottes „grüner Seite“. Ihr Ego wird es Ihnen danken.

EGOISMUS (1)“Es gibt nur eine Freiheit: meine Macht. Und nur eine Wahrheit: den strahlenden Egoismus der Sterne.“ (2) „Wer aus freiem Willen dem Nächsten gegenüber blind ist, tut meist nichts anderes, als den Spiegel zerbrechen, um sich selbst nicht darin zu sehen.“ (Georges Bernanos) (3) Schopenhauer, der unpopuläre Verkünder ebenso unpopulärer wie gnadenloser Wahrheiten, sagt zum Beispiel, der menschliche Egoismus sei so groß, daß ein Mensch fähig sei, seinen Bruder zu töten, um mit dessen Fett seine eigenen Stiefel zu schmieren.

EHE (1) Sobald in einer Gesellschaft das Gespräch darauf kommt, erwähne man wie nebenher, daß Eva schließlich auch nicht Adams erste Frau gewesen, „man erinnere sich Lilith“, und überhaupt „mache man viel zu viel Aufhebens von der ganzen Sache, wie schon das bereits erwähnte Beispiel zeige.“ Weiter lasse man sich jedoch über diesen Gegenstand tunlichst nicht aus. Auch vermeide man unbedingt Fragen nach dem Ende der Ehe mit Lilith und dem Beginn jener mit Eva. Der Eindruck von überragender Bildung, den man eben noch erweckt hat, könnte sonst leicht in einen „ewigen Schlaf“ verfallen. (2) Die treffendste Definition zu diesem Stichwort, die mir bekannt geworden ist, stammt von einem Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, von Samuel Johnson. „Bei der Eheschließung gibt es außer Mann und Frau ein dritte Partei - die Gesellschaft; und wenn man das Treueversprechen als Schwur betrachtet - Gott; und deshalb kann sie nicht einfach ‘in gegenseitiger Übereinkunft’ aufgelöst oder gar gebrochen werden. Beides ist zutiefst unmoralisch.“ (3) Fällt einer, so hilft ihm sein Gefährte auf. Wehe dem, der allein ist! Wenn er fällt, so ist keiner da, der ihm aufhelfe. Auch wenn zwei beieinander liegen, wärmen sie sich; wie kann ein einzelner warm werden? Einer mag überwältigt werden, aber zwei mögen widerstehen; und eine dreifältige Schnur reißt nicht leicht entzwei. (Pred. 4. 10 - 13) (4) Nach Mr. Shandys Definition ein Zustand, welcher sich hauptsächlich darin auszeichnet, „ein Leben lang nicht mehr diagonal im Bette liegen zu können.“

EILE Der moderne Mensch besitzt bekanntlich erstaunlich viele „Dinge“, deren Wert einzig und allein auf Verabredung beruht. Neben den Überzeugungen, der Wahrheit, dem Geld und der Autorität, muß unbedingt auch die Eile genannt werden. Hört man nicht aus Jedermanns Mund viele Male täglich, und das tagaus, tagein, den seltsamen Satz: „Ich habe es eilig! ... ich habe Eile!“ Eile ist offensichtlich etwas ziemlich Wertloses, da jeder es besitzt (im Gegensatz zur Zeit, die als außerordentlich kostbar gilt, rar wie jene legendäre „blaue Mauritius“ oder der „Baedeker für Atlantis“.) Warum aber, wenn jeder es besitzt, wird soviel Aufheben davon gemacht? Andererseits „besitzt“ auch jeder Exkremente, und doch kommt die Häufigkeit ihrer Erwähnung beinahe einer archaischen Schwurformel gleich. Doch zurück zu unserem Stichwort - letzten Endes bin ich mir natürlich nicht sicher, recht zu haben. Wer kann sich dessen schon sicher sein, da selbst Gott, zumindest in früheren Zeiten, ständig seine Entschlüsse modifizieren musste? Das ist aber auch nicht so wichtig, wenn ich an jene Frau denke, von der Camus uns berichtet, dass ihr ihre Tochter, als sie im Sterben lag, bereits das Totenhemd anzog. D.h. als sie noch lebte. Das soll leichter sein, erzählte man Camus, solange die Glieder noch nicht erstarrt sind. „Aber“, schreibt Camus, „es ist trotzdem seltsam, wie wir von Menschen umgeben sind, die es eilig haben.“

EITELKEIT (1) Macht erpressbar. (2) Die „Ehre“ des Eitlen hängt an der Zungenspitze eines Jeden. (3) In allen Lebensbereichen und in allen Verkleidungen allgegenwärtig; die gemäßigte Schwester des Exhibitionismus. - Als Antisthenes ein Loch in seinem Mantel allen recht sichtbar machte, sagte Sokrates: „Aus deinem Mantel sehe ich die Eitelkeit hervor leuchten.“ (4) In der Eitelkeit liegt eine so starke Beimischung von Neid, daß kein Kompliment einer gut gewählten Beleidigung gleichkommt. Um Ihren Bekannten zu bestechen, haben Sie bloß seine Freunde lächerlich zu machen. (5) Als Victor Hugo, der Autor des Notre-Dames de Paris und des Le Roi s´amuse, von dem Prosper Mérimée 1862 sagte, er sei ein Mann, „der sich an seinen eigenen Worten berauscht und sich nicht die Mühe des Denkens macht“,  und von dem Cocteau sagte, „Victor Hugo war ein Verrückter, der sich für Victor Hugo hielt“, „genial und dumm“, fügte Ernest Renan hinzu, als also eben jener Victor Hugo mit seiner Geliebten Juliette Drouet im Juli 1843 in die Pyrenäen reist, die ihm überdrüssig gewordenen Adèle in Paris zurücklassend, in größenwahnsinniger Verblödung dem lobhudlerischen Gefasel des Kutschers lauschend, welcher die ganze Fahrt über hugo’sche Verse rezitiert, diesem am Ende der Reise „gesteht“, er sei eben jener Victor Hugo, welcher „wegen der Leute“ unter falschem Namen reise, ist die Reaktion des Kutschers verblüffend. Als der Kutscher ihm die Hand entgegenstreckte, um Abschied zu nehmen, tat Hugo desgleichen und flüsterte mit Verschwörermiene: „Ich bin Victor Hugo, Vicomte und Pair de France, Mitglied der Académie Française, größer als Dante und Chateaubriant.“ Der Kutscher jedoch spuckte geringschätzig ins Gras aus und sagte: „Das kannst du sonst wem erzählen! Willst du mir weismachen, daß Victor Hugo so dämlich aussieht wie du?“ (Fortsetzung unter TROST)

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FREUDE (1) Um sich selber die Freude zu erhalten, kann es notwendig sein, dafür zu sorgen, daß die Welt einen verachtet. (2) Rätselhaft ist die Hyroglyphe der Freude.


FREUDSCHE FEHLLEISTUNGEN Jenseitspaste statt Jensens Pastete; Regenmehl statt Regennebel.


FREUNDE (1) Auch einer jener Begriffe, die einen bestürzenden Bedeutungswandel … oder sollte man besser sagen: eine Sinnentleerung erlitten haben. Definierte doch noch vor fünfzig Jahren Jean-Pierre Mellville Freund als jemanden, den man z. B. „nachts um 3 anrufen kann, um ihn zu bitten, seinen .38er einzustecken und sofort zu kommen. Und der dann sofort kommt, ohne lange nach dem Wie & Was zu fragen.“ Heutigentags ist bereits jede hergelaufene Partybekanntschaft ein „Freund“, und „nachts um 3“ hat man bestenfalls den Anrufbeantworter als „Gesprächspartner“. Doch der „ganz aufgeschlossene“ Zeitgenosse geht sogar noch weiter. Ich habe keine Freunde mehr, denkt er (und lebt er), ich habe nur noch Komplicen. Dafür hat ihre Zahl zugenommen, sie umfaßt das ganze Geschlecht der Menschen … Der just Anwesende kommt dabei immer an erster Stelle. (2) Die echten Freunde finden sich bei glücklichen Anlässen nur ein, wenn man sie ruft; bei unglücklichen von selbst. (Demetrios) (3) Hat man erst, wenn man keinen mehr nötig hat, sagt ein Sprichwort, welches mit Zurückhaltung zitiert werden sollte. Fazit: Dicke Bücher ließen sich zu diesem Thema schreiben. Überflüssige Bücher. Bücher, mit denen sich einer keine Freunde machte.


FREUNDLICHKEIT Tantus ab uno splendor.


FREUNDSCHAFT (1) Einer der schönsten Gedanken findet sich bei Aristoteles. Ein Freund, heißt es bei ihm, ist eine Seele, die in zwei Leibern wohnt. Und die Lebenserfahrung ergänzt: viele Freunde, kein Freund. (2) Von ihr heißt es in einem vergessenen Buch, sie ist die zentrifugale Kraft der Selbstangst, die Selbstverneinung.

FRIEDEN Dem Staat, der äußeren Feinden gegenüber stark gerüstet dasteht, blüht der Friede. Lauscht aber ein Volk der Rede schlaffer Träumer, die Abrüstung und ewigen Frieden predigen, dann ist sein Schicksal besiegelt, früher oder später fällt sein Land einem Eroberer anheim, und ein freies Volk verwandelt sich in Sklaven fremder Tyrannen. So war es immer und so wird es auch bleiben.


FROMM sein, sagt der andere Lessing, heißt still sein und im Schönen ruhen.


FRÖMMIGKEIT Es gab Zeiten, da die Frömmigkeit nicht im Aufwand gesucht wurde, sondern im Nichtverändern des Altüberlieferten bestand.


FRÜHER (1) Jene sagenhafte Epoche, als das Wünschen noch geholfen hat, die Leute noch Tarnkappen an ihre Kinder vererbten, fliegende Teppiche unter den Esstischen der Luftschlösser lagen, Denunzianten und Polizeispitzel unter dem Beifall der Nachbarschaft mit der Reitpeitsche durchgeprügelt wurden, überhebliche Machtbesitzer höchst selten im Bett starben und die Leute Zivilcourage für eine der ersten Bürgerpflichten hielten. (2) Früher dinierte man um zwölf Uhr mittags; heute isst man zu unmöglichen Zeiten. (G. Flaubert)


FÜHMANN, Louis Deutscher Schriftsteller; wird häufig mit Franz Fürnberg verwechselt.


FURCHT (1) Primus in orbe deos fecit timor, heißt es bei Petronius. Als erstes auf der Welt schufen die Götter die Furcht. (2) „Warum doch fürchtest Du Dich? Da Du selber das bist, was Dich fürchten macht?“ – Diogenes Laertus verdanken wir folgende Definition: Furcht ist Erwartung eines Übels. Es sind der Furcht folgende Arten untergeordnet: Schrecken, Bedenklichkeit, Scham, Betäubung, Verwirrung, Beängstigung. Schrecken ist Furcht, die Angst erweckt; Scham ist Furcht vor Verachtung; Bedenklichkeit Furcht vor kommender Tätigkeit; Betäubung Furcht infolge des Eindrucks eines ungewohnten Ereignisses; Verwirrung Furcht mit Beschleunigung der Stimme; Beängstigung Furcht vor einem ungewissen Ereignis. (3) Was wir alle am meisten fürchten, ist ein Nebel ohne Zentrum. Das ist es, was den Atheismus zum Nachtmahr macht.


FÜSSE Vor der Erfindung der Schuhe, resp. der Wollstrümpfe, wärmten sich die Barbarenkönige bei ihren Festen die nackten Füße am milden Busen ihrer unter dem Tisch kauernden Lieblingssklavin. Heutzutage sind die Intellektuellen die Inhaber dieses Ehrenamtes und entledigen sich ihrer Aufgabe mit großem Eifer. Die heutigen Könige werden mittlerweile gezeugt und aufgezogen von jenem ebenso brünstigen wie unermüdlichen Elternpaar, das unter dem Namen „Großschnäuzigkeit & Kretinismus“ allgemein bekannt ist. Die Namen dieser, die glücklichen Eltern erfreuenden, Abscheulichkeiten sind „Pöbel, Plebs und Abschaum“.


FUSSTAPFEN Falsch, es muß heißen Fußtappen.

 

 


 


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