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Geisterbahn 10
"REDENSARTEN"
Februar 2006

Auszug:
Wer
sich so alles in Gefahr begibt
Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, heißt es. Eine
nicht hoch genug einzuschätzende Wahrheit, welche mir schon als Kleinkind
vermittelt wurde. Ich erinnere mich noch genau an das erste Mal. Es war an einem
Donnerstag. An diesem Donnerstag hätte ich meinen ersten halben Geburtstag
feiern können.
Wie an jedem Vormittag, so sah ich auch an diesem Vormittag
aus dem Küchenfenster auf die Straße herunter. Die Stunde war früh, doch nicht
früh genug, es war wenig los. Was nicht zuletzt daran lag, daß es sich bei der
besagten Straße um eine Nebenstraße handelt und die Bewohner dieser Straße,
zumindest jene im handfesten Alter, um es mal salopp zu formulieren, bereits auf
der Arbeit waren, um sich den ihrer dort harrenden Gefahren auszusetzen.
Der Name jener Straße wird hier mit Absicht verschwiegen.
Schließlich könnten die Ereignisse, welche sich gleich ereignen werden, ein
schlechtes Licht auf sie werfen. Was in Anbetracht des Umstandes, daß es sich um
eine Nebenstraße mit ohnehin nur mäßiger Straßenbeleuchtung handelt, wenig
wünschenswert erscheint. Hinzu kommt, daß von den
Beteiligten außer mir noch
andere unter den Lebenden weilen - oder sollte ich besser schreiben: wandeln? -
könnten. Nun gut.
Nachdem ich also bereits reichlich 4 Stunden und 22 Minuten aus dem Fenster
geschaut hatte, nahte von der Ecke her ein ziemlich wackliges Individuum. Da ich
zuvor in eine andere Richtung geblickt hatte, war mir entgangen, um welche
Vorgeschichte es sich handelte. War es nur so um die Ecke gewackelt? War es aus
einem der Hausausgänge gewackelt, zu der Ecke geschlurft, hatte dort bemerkt,
daß es in die falsche Richtung unterwegs war und war nun also bereits auf einer
Art Rückweg? Keine Ahnung. Der Berichterstatter tappt hier im Dunklen. Als ich
jedenfalls in diese Richtung schaute, wackelt es bereits in meine Richtung. Das
Geschöpf besaß einen Krückstock, mit dessen Hilfe es auf den Gehweg klopfte.
Heute, mit sozusagen analytischem Rückblick, würde ich unterstellen, daß der
Gummipfropf an seinem unteren Ende ziemlich hinüber gewesen sein muß. Als ahnte
ich das, was unweigerlich vorfallen würde - oder sollte ich besser schreiben:
hinfallen? - rief ich nach meiner Mutter. Natürlich hätte ich auch nach meinem
Vater rufen können, werden Sie mit einiger Berechtigung einwenden. Besser
gesagt: mit beinahe einiger Berechtigung. Denn ich besaß keinen Vater.
Bei mir handelte es sich um eines jener Kinder, welche mittels unbefleckter
Empfängnis bis ins Dasein vorgedrungen waren. Schütteln Sie jetzt noch nicht
ungläubig den Kopf - es sollte noch unglaublicher
kommen...
Folksaugabe erschienen im März 2006.
Details siehe Vorgänger.
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