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Das
Wörterbuch
in der Geisterbahn
s.o.p.a. bis Systeme
mit zeitgeistnahen Illustrationen
Juni 2011

satire „Mir
blutet ja das Herz, wenn dir’s wie Hohn auch klingt.“ (Sophokles)
sauberkeit
Freud war der Ansicht, Sauberkeit, Reinlichkeit, sei wohl eher eine neurotische
Erscheinung, als eine wirkliche „Errungenschaft“ der Zivilisation — eine Art
Ersatzhandlung für diverse andere — unterdrückte Triebe — die bei der
Zivilisationsdressur abhanden gekommen sind. Waschen und Putzen als
„Ersatzhandlungen“. In der sehr alten, vermutlich längst vergessenen Sitte, war
das was beim Essen vom Tische fiel, nicht aufzuheben — da man es derart den
werten Verstorbenen überließ.
säulen „Simon
Stylites gewann auf seiner Säule die Achtung der ganzen Welt.“ (Knut Hamsun)
schafott Der
Altar der Religion der Ungerechtigkeit.
schalk
Alexander Schalk-Goldokowski, der Millionär, hatte 1999 erhebliche
Aufmerksamkeit erregt, als er den Fernsehturm im einstigen Ostberlin binnen
zweier Wochen abtragen ließ, da dieser auf seinem Grund und Boden stand, wie
sich nach der Reprivatisierung herausstellte. Im Anschluss an den Abriss ließ er
die so entstandene Freifläche mit farbigen Steinplatten decken, eine Parkbank
und eine Blumenschale dorthin stellen. „Der Gipfel der Arroganz!“
(Der Spiegel)
scharlatan
(1) Karl Mickel über
Heiner Müller (2) „Schopenhauer war ein Scharlatan, aber schrieb wie ein
Philosoph; Nietzsche war ein Philosoph, aber schrieb wie ein Scharlatan“,
schrieb ein törichter Autor des 19. Jahrhunderts, der weder das eine noch das
andere war. (3) „Aber manche Leute sind eben Scharlatane von Geburt.“ (Vaché)
(4) Pythagoras sagt in einer Schrift, er sei immer je nach Verlauf von 207
Jahren aus der Unterwelt wieder zu den Menschen gekommen. — Dabei stellt sich
die Frage nach dem Warum?, dh. zu wessen Nutzen?
Schatten
„Guten Abend“, grüßte der seinem Schatten folgende …
schauerlich
Das Lächeln war
fürchterlich, … schauerlich, wie künstliche Beatmung eines totgeborenen Fötus.
(Samuel Beckett)
schauspiele
Die Schauspiele, die uns
jenseits des leiblichen Todes erwarten, würden zweifellos nicht jenen gleichen,
die Dante uns in der Hölle, im Fegefeuer und im Paradies zeigt …
diese seltsame Bemerkung
Claudels in einem ansonsten hervorragenden Aufsatz lässt sich beliebig
kommentieren.
schauspieler
„Ein ’Autor’, schreibt Mr. Burley-Mathew, ist ein unbegreiflich hohes
Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen, das man in einem Palast hegen, und
auf Kosten der Öffentlichkeit mit nichts als Ortolanen und Tokayer atzen sollte.
In Eiderdaunen sollte man ihn hüllen; und vermittels seid’ner Markisen gegen die
banalen Lebenssorgen abschirmen —; nichts sollte ihm obliegen, als Bücher zu
schreiben, auf Tafeln von Cedernholz; oder, allenfalls, vom Bord einer
vergoldeten Barke aus, nach Barschen zu angeln. — SCHAUSPIELER! … Sind
dagegen transsexuelle Kammerzofen; Scharlatane, die sich damit ihr Brot
erwerben, wie sie öffentlich vorführen, wie sie das Brot, das andere gebacken
und verdauen … und das Publikum kann sich glücklich schätzen, wenn ihm
wenigstens die Abteilung Ausscheidungen & Blähungen erspart bleibt.“
schein Alles
ist nur Schein, und existiert nur als Funktion unseres übermächtigen Selbst.
schicksal
(1) „Dieses einzige
und mächtige Schicksal“, sagten die Athener, „vermöge welchem alles geschieht,
und welchem auch die Götter untertan sind.“ (2) Den Weisen führt es, den Narren
schleift es mit … den Unentschlossenen aber stupst es vor sich her. (3)
Ducunt volentem fata, nolentem trahunt. (Sen. ep. 107) Den Willigen führt
das Schicksal, den Widerwilligen schleift es mit. (4) Dunkles, unentwirrbares
Schicksal! Verweberin wilder Gegensätze; Dämonin dieser greisen, alten Welt; du
schreitest über sie hin, wie 1 Geist über die Wasser, die Tiefen aller Dinge mit
feierlichem Geheimnis und ewigem Wechsel füllend. Du schwebst über unsere
Gräber, und Freude entsteht aus der Asche, du schwebst über die Freude und sieh,
sie ist 1 Grab! Hebel und Werkzeug Gottes, dessen Jahre keiner Zählung
unterworfen sind, wechselst du die Erde wie 1 Kleid — und wie 1 Kleid ist sie
verwandelt; — du machst sie zugleich zum weiten Grab und zum Mutterleib; Leben
verschlingend und Leben schaffend und rufst von Jahrhundert zu Jahrhundert, vom
1. Tag der Schöpfung bis zum letzten Tag des jüngsten Gerichts, denselben Staub
und dieselben Atome hervor, welche bereits unsere Vorväter umhüllten, und welche
das einzige Erbe sind, das sie durch zahllose Geschlechter hindurch ihren Söhnen
hinterlassen (5) Eine Facette des Wahnhaften nennt sich selbst
Determinismus. Einmal dieser ideé fix verfallen, stellt sich dem
Verblendeten das Dasein in ganz neuer Beleuchtung dar. Die Behauptung beweist
sich durch sich selbst, dies ist nicht originell, und allen Systemen mehr oder
weniger eigen; somit wird nunmehr jeder Einfluss zum Determinismus. Keine
Illusionen verleihen mehr den Taten der Helden Anmut oder Entschuldigung. Ihre
Freiheit bestand, wie Spinoza feststellte, lediglich aus der Unkenntnis der
Ursachen, die sie zum Handeln bestimmten. (6) Gilt wohl zu recht als
unabwendbar, woraus der Ratschlag resultiert, dass ein jeder sein selbiges
annehmen sollte … ohne zu murren. — „Was kann vermieden werden, / Das sich zum
Ziel die mächt’gen Götter setzten?“ (Jul. Cäsar II.2.27) (7) Jetzt kannst du
deine Macht, o Schicksal, zeigen: / was sein soll, muss geschehen, und keiner
ist sein eigen. (Shakespeare) (8) Man spricht auch von der Macht des
Schicksals. Selbige wird allerdings nur von den Unglücklichen zugegeben,
denn die Glücklichen schreiben all ihre Erfolge ihrer eigenen Klugheit bzw. dem
dito Verdienst zu. (9) Man wächst immer in eine schon gesprochene Welt
hinein. (10) Plan Gottes den Einzelnen betreffend. „Man muss sein Schicksal
annehmen.“ (Etwas, das schon die Alten wussten. Besser: Etwas, dass
noch die Alten wussten. Während wir es bestenfalls ahnen.) (11)
Unsere Vorfahren hatten eine sehr bildhafte Vorstellung vom Schicksal; sie sahen
es als ein Buch in den Archiven der Ewigkeit an, in dem der Lebensverlauf, mit
all seinen Höhen und Tiefen, eines jeden Einzelnen genau festgelegt ist. daher
auch der Gedanke, dass es unmöglich ist, sich seinem Schicksal zu widersetzen.
Der Weise nimmt sein Schicksal an … und dankt Gott dafür, dass es ihm besser
geht, als so manchem anderen. Dh. nur der Schwache verzweifelt und verbringt
seine Lebenszeit mit jammern und „haschen nach Wind“. Der Starke vertraut Gott
und respektiert die ihm gezogenen Grenzen, die ihm auferlegten Prüfungen. Die
„Idee dahinter“ ist: das Leben ist ein Geschenk, für welches ich Gott dankbar
bin, und das ich sorgsam und vernünftig gebrauchen will (daher auch: Selbstmord
= Sünde; Mord = Sünde). All die „Emporkömmlinge“, „Revolutionäre“, all die
Jammerlappen und Almosenempfänger, all die „Schnäppchenjäger“, all die
Postenhascher, Polizeidiener in Wartestellung etc. etc. sind Verfluchte. Ihnen
sei auf die Mahnsteine ihrer Gräber zu „Lebzeiten“ geschrieben: Die da
Mühe pflügten und Unglück säten, ernten es auch ein. Hiob 4.8 — (12) Was
binnen eines Jahres nicht geschieht, geschieht binnen weniger Minuten, besagt
ein spanisches Sprichwort; und Arthur Schopenhauer ergänzt, alles was
geschieht, vom Größten bis zum Kleinsten, geschieht notwendig; und wenn die Welt
zusammenbricht, einen Unerschrockenen werden die Trümmer treffen.
schiffsreisen
„Der Gruß, den die beiden
Schiffe sich mit drei lauten Schreien prähistorischer Tiere zurufen, die Signale
der Passagiere, die auf See verloren und nun wachgerufen sind durch die
Gegenwart anderer Menschen, die Trennung schließlich auf den grünen, übel
wollenden Wassern — all dies drückt mir ein wenig das Herz ab. Ich blicke danach
noch lange auf das Meer, von einer seltsamen, guten Erregung erfüllt.“
52 Seiten Text plus 2
Illustrationen
- Sammlerausgabe -
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